Hallo meine Lieben, leider hatte ich in den letzten Wochen keine Zeit zum Schreiben. Danke, dass ihr so lange gewartet habt und trotzdem weiterlest.
Die folgende Geschichte wurde mir erzählt und hat sich so ähnlich am letzten Montag zugetragen. Ich habe sie nach bestem Wissen und Gewissen verschriftlicht. Viel Spaß beim Lesen!
Die folgende Geschichte wurde mir erzählt und hat sich so ähnlich am letzten Montag zugetragen. Ich habe sie nach bestem Wissen und Gewissen verschriftlicht. Viel Spaß beim Lesen!
Rosenmontag, Essen Hauptbahnhof
Meine Assistentin und ihr Freund wollen nach Köln fahren um sich den Zug anzugucken. (Ja, ich weiß: das klingt absolut verrückt, aber manche Menschen tun sich das tatsächlich freiwillig an ;) )
Sie stehen also am Ticketautomat und stellen fest, dass sie nicht alleine auf diese verrückte Idee gekommen sind, denn das Pärchen neben ihnen will auch nach Köln. Sie kaufen also ein Gruppenticket und setzen sich zusammen in eine Nische.
Wie das auf so einer längeren Fahrt eben so ist, kommen sie irgendwann ins Gespräch. Woher kommt ihr? Wart ihr schon mal an Rosenmontag in Köln? Was macht ihr beruflich? Als meine Assistentin erzählt, dass sie bei mir arbeitet und was sie hier so macht, ist die andere Frau ziemlich entsetzt. „Ich könnte sowas ja nicht. Ich würde glaube ich die ganze Zeit Mitleid haben." Als meine Assistentin dann auch noch in schallendes Gelächter ausbricht, ist das Entsetzen perfekt. Warum lacht sie? Was ist an Mitleid für Behinderte so witzig? „Das einzige was ich noch nie für sie empfunden habe, ist Mitleid!", entgegnet meine Assistentin grinsend und erklärt, dass sie mein Leben für wesentlich lebenswerter, schöner und lustiger hält als das vieler anderer.
Sie erzählt von meinem Leben und dem meiner Freunde. Dass wir studieren, arbeiten, feiern, lachen, weinen und ein tolles und ziemlich normales Leben haben. Scheinbar war die Fremde sehr beeindruckt davon und ich hoffe, dass sie diese Unterhaltung ein bisschen von ihren Vorurteilen befreit hat.
Leider hat das bei einigen anderen Menschen, die ich bisher kennenlernen durfte (in manchen Fällen sollte es eher „musste" heißen) nicht geklappt. Das Paradebeispiel dafür war A., 24, Altenpflegerin und letzten Frühling Bewerberin bei mir.
Es war ein schöner, warmer, sonniger Tag und ich hatte mal wieder Assistenzmangel. Deshalb kam A. vorbei um sich bei mir vorzustellen. Als sie reinkam und mich mit einem wundervollen, vor Mitleid triefenden Blick ansah, war das Bewerbungsgespräch eigentlich schon gelaufen. Aber optimistisch wie ich bin widmete ich ihr trotzdem eine halbe Stunde meiner kostbaren Zeit und das Gespräch entwickelte sich langsam aber sicher in die richtige Richtung.
Wir redeten über ihre zukünftigen Aufgaben bei mir und nachdem das Bewerbungsgespräch-Standardprogramm abgespult war wurde es etwas privater. Wir sprachen ein bisschen über Musik, Filme und Freizeitbeschäftigungen. Sie war sichtlich fasziniert, dass ich trotz meiner furchtbaren Behinderung* das Haus verlasse und sogar andere Menschen treffe. Aber alles in allem hatte ich das Gefühl etwas in ihr bewegt und sie vielleicht sogar von IHRER furchtbaren Mitleidsbehinderung befreit zu haben. Wir verabschiedeten uns also und sie versprach sich bei meinem Pflegedienst und zwecks Einarbeitung bei mir zu melden.
Als ich dann aber am nächsten Tag beim Pflegedienst anrief um meine Zustimmung für sie zu bekunden, teilte man mir mit, dass sie die Arbeit bei diesem Pflegedienst abgelehnt hätte. Sie könne nicht mit Menschen arbeiten, die so jung und schon so behindert sind. Ich bin zwar sehr sehr selten sprachlos, aber nun war es soweit. Mir stockte der Atem und ich wusste vor Entsetzen nicht ob ich lachen oder weinen sollte. Ich entschied mich wie in den meisten Fällen für das Lachen. Ich habe mich anschließend aber gefragt, wie so jemand als Altenpflegerin arbeiten kann. Offensichtlich macht es ihr ja nichts aus, wenn jemand alt und behindert ist. Kann so etwas sein? Und wieso herrscht in unserer Gesellschaft noch immer das Motto: „keine Muskeln, kein Leben"?
Leider kennen viele Menschen niemanden mit einer Behinderung. Das wird sich aber hoffentlich in den nächsten Jahren durch zunehmende Inklusion in Schule, Job und Sport ändern. Der Rest wird dann quasi von allein passieren, hoffe ich.
Ich denke auch, dass die Medien momentan nicht ganz unbeteiligt an der Angst im Umgang mit „uns" sind. Wenn man die Zeitung aufschlägt, liest man von dem behinderten Helden, der trotz Beinprothese ziemlich schnell 100 m laufen kann. Wenn man den Fernseher einschaltet, fahren wohlmeinende Reporter wie Jenke von Wilmsdorff durchs Bild, die sich nach 45 min im Rollstuhl schon daran gefesselt fühlen. Warum hat sein Kamerateam ihn dann nicht losgebunden? Und warum kann nicht einfach mal über jemanden berichtet werden, der etwas ganz selbstverständlich mit und nicht trotz Behinderung macht?
Um dieses Bild vom behinderten Superhelden oder bemitleidenswerten Behindi-Kindi zumindest ein bisschen zu ändern, habe auch ich mich vor ein paar Wochen in die bunte Fernsehwelt gewagt und dem guten alten WDR ein Interview gegeben. Darin ging es genau um dieses Thema, den selbstverständlichen Umgang von uns allen, ob behindert oder eben nicht. Es ging um den Wert des Lebens und die Dinge, die das Leben lebenswert machen. Ich bin schon sehr gespannt, was die Menschen im Schnitt schönes daraus zaubern. Sobald ich das Interview gesehen habe wird es hier genauere Infos dazu geben.
Bis dahin bleibt mir nur mich bei allen zu bedanken, die mir täglich ohne Berührungsängste, offen, ehrlich und manchmal auch sehr sehr schonungslos begegnen. Ihr seid toll und macht das Leben einfach wundervoll. Danke!!!
Ganz liebe Grüße aus Bochum,
eure Vici
*für die von euch, die das nicht erkennen: das ist Ironie! ;)
Meine Assistentin und ihr Freund wollen nach Köln fahren um sich den Zug anzugucken. (Ja, ich weiß: das klingt absolut verrückt, aber manche Menschen tun sich das tatsächlich freiwillig an ;) )
Sie stehen also am Ticketautomat und stellen fest, dass sie nicht alleine auf diese verrückte Idee gekommen sind, denn das Pärchen neben ihnen will auch nach Köln. Sie kaufen also ein Gruppenticket und setzen sich zusammen in eine Nische.
Wie das auf so einer längeren Fahrt eben so ist, kommen sie irgendwann ins Gespräch. Woher kommt ihr? Wart ihr schon mal an Rosenmontag in Köln? Was macht ihr beruflich? Als meine Assistentin erzählt, dass sie bei mir arbeitet und was sie hier so macht, ist die andere Frau ziemlich entsetzt. „Ich könnte sowas ja nicht. Ich würde glaube ich die ganze Zeit Mitleid haben." Als meine Assistentin dann auch noch in schallendes Gelächter ausbricht, ist das Entsetzen perfekt. Warum lacht sie? Was ist an Mitleid für Behinderte so witzig? „Das einzige was ich noch nie für sie empfunden habe, ist Mitleid!", entgegnet meine Assistentin grinsend und erklärt, dass sie mein Leben für wesentlich lebenswerter, schöner und lustiger hält als das vieler anderer.
Sie erzählt von meinem Leben und dem meiner Freunde. Dass wir studieren, arbeiten, feiern, lachen, weinen und ein tolles und ziemlich normales Leben haben. Scheinbar war die Fremde sehr beeindruckt davon und ich hoffe, dass sie diese Unterhaltung ein bisschen von ihren Vorurteilen befreit hat.
Leider hat das bei einigen anderen Menschen, die ich bisher kennenlernen durfte (in manchen Fällen sollte es eher „musste" heißen) nicht geklappt. Das Paradebeispiel dafür war A., 24, Altenpflegerin und letzten Frühling Bewerberin bei mir.
Es war ein schöner, warmer, sonniger Tag und ich hatte mal wieder Assistenzmangel. Deshalb kam A. vorbei um sich bei mir vorzustellen. Als sie reinkam und mich mit einem wundervollen, vor Mitleid triefenden Blick ansah, war das Bewerbungsgespräch eigentlich schon gelaufen. Aber optimistisch wie ich bin widmete ich ihr trotzdem eine halbe Stunde meiner kostbaren Zeit und das Gespräch entwickelte sich langsam aber sicher in die richtige Richtung.
Wir redeten über ihre zukünftigen Aufgaben bei mir und nachdem das Bewerbungsgespräch-Standardprogramm abgespult war wurde es etwas privater. Wir sprachen ein bisschen über Musik, Filme und Freizeitbeschäftigungen. Sie war sichtlich fasziniert, dass ich trotz meiner furchtbaren Behinderung* das Haus verlasse und sogar andere Menschen treffe. Aber alles in allem hatte ich das Gefühl etwas in ihr bewegt und sie vielleicht sogar von IHRER furchtbaren Mitleidsbehinderung befreit zu haben. Wir verabschiedeten uns also und sie versprach sich bei meinem Pflegedienst und zwecks Einarbeitung bei mir zu melden.
Als ich dann aber am nächsten Tag beim Pflegedienst anrief um meine Zustimmung für sie zu bekunden, teilte man mir mit, dass sie die Arbeit bei diesem Pflegedienst abgelehnt hätte. Sie könne nicht mit Menschen arbeiten, die so jung und schon so behindert sind. Ich bin zwar sehr sehr selten sprachlos, aber nun war es soweit. Mir stockte der Atem und ich wusste vor Entsetzen nicht ob ich lachen oder weinen sollte. Ich entschied mich wie in den meisten Fällen für das Lachen. Ich habe mich anschließend aber gefragt, wie so jemand als Altenpflegerin arbeiten kann. Offensichtlich macht es ihr ja nichts aus, wenn jemand alt und behindert ist. Kann so etwas sein? Und wieso herrscht in unserer Gesellschaft noch immer das Motto: „keine Muskeln, kein Leben"?
Leider kennen viele Menschen niemanden mit einer Behinderung. Das wird sich aber hoffentlich in den nächsten Jahren durch zunehmende Inklusion in Schule, Job und Sport ändern. Der Rest wird dann quasi von allein passieren, hoffe ich.
Ich denke auch, dass die Medien momentan nicht ganz unbeteiligt an der Angst im Umgang mit „uns" sind. Wenn man die Zeitung aufschlägt, liest man von dem behinderten Helden, der trotz Beinprothese ziemlich schnell 100 m laufen kann. Wenn man den Fernseher einschaltet, fahren wohlmeinende Reporter wie Jenke von Wilmsdorff durchs Bild, die sich nach 45 min im Rollstuhl schon daran gefesselt fühlen. Warum hat sein Kamerateam ihn dann nicht losgebunden? Und warum kann nicht einfach mal über jemanden berichtet werden, der etwas ganz selbstverständlich mit und nicht trotz Behinderung macht?
Um dieses Bild vom behinderten Superhelden oder bemitleidenswerten Behindi-Kindi zumindest ein bisschen zu ändern, habe auch ich mich vor ein paar Wochen in die bunte Fernsehwelt gewagt und dem guten alten WDR ein Interview gegeben. Darin ging es genau um dieses Thema, den selbstverständlichen Umgang von uns allen, ob behindert oder eben nicht. Es ging um den Wert des Lebens und die Dinge, die das Leben lebenswert machen. Ich bin schon sehr gespannt, was die Menschen im Schnitt schönes daraus zaubern. Sobald ich das Interview gesehen habe wird es hier genauere Infos dazu geben.
Bis dahin bleibt mir nur mich bei allen zu bedanken, die mir täglich ohne Berührungsängste, offen, ehrlich und manchmal auch sehr sehr schonungslos begegnen. Ihr seid toll und macht das Leben einfach wundervoll. Danke!!!
Ganz liebe Grüße aus Bochum,
eure Vici
*für die von euch, die das nicht erkennen: das ist Ironie! ;)